4.

Strahlende Sonne erfüllte das Schlafzimmer. Jahne schlug die Augen auf. Seit drei Tagen wohnte sie bei Sharleen. In ihrem Herzen dankte Jahne ihrer Freundin und deren Freund innig für das, was sie getan hatten. Auch wenn Dean nicht der hellste sein mochte, war er doch schrecklich lieb. Es tat gut, einfach neben ihm zu sitzen.

Sharleen hatte Marty angerufen und ihm mitgeteilt, daß Jahne krank sei. Sharleen hatte sogar einen Arzt kommen lassen, »damit es koscher aussieht«, wie sie sagte. Sharleen fuhr täglich zu den Aufnahmen, weckte Jahne aber nicht. Erst gegen zehn Uhr klopfte Dean schüchtern an Jahnes Tür und brachte ihr ein Glas frischen Saft und eine Tasse Kaffee. Er blieb, bis sie beides getrunken hatte und holte dann die Hunde herein, mit deren Tricks er sie ablenkte.

Später machte Dean es Jahne unter einem Baum im Garten bequem, während er sich seiner Gartenarbeit widmete und mit den Hunden spielte. Anfangs konnte Jahne nicht einmal lesen.

Der üppige Garten erinnerte sie an die Gemälde von van Huysum im Getty-Museum. Überfluß, hier in natura, nicht nur als Farben auf der Leinwand. In Jahnes Leben hatte der Überfluß immer gefehlt. Ein karges Leben in New York, ein hohler Erfolg in L.A. Es lief alles auf eine fruchtlose Suche nach etwas hinaus, was sie suchte und nicht fand: Liebe, Wärme, Überfluß.

Zweifellos hatte sie sich vieles selbst verdorben. Sie hatte sich einen Mann als Objekt ihrer Liebe ausgesucht, der selbst keine Liebe schenken konnte. Ein oberflächlicher, egoistischer Mann. Sie hatte ihre Freunde verlassen und sich den Geboten ihres Ego und ihrer Eitelkeit unterworfen, was ihr nur wenig eingebracht hatte. Gewiß, ihr Gesicht hatte auf Zeitschriften geprangt, ihr Bild flimmerte über den Bildschirm, Sie besaß Geld und Ruhm. Doch vieles hatte sie ausgelassen. Sie war nie in Europa gewesen, hatte nie ein Baby geboren, nie auf einem Pferd gesessen, beherrschte keine Fremdsprache, konnte nicht Ski fahren, hatte nie im Freien kampiert, eine Kreuzfahrt unternommen oder ein College besucht. Außerdem hatte sie niemandem geholfen außer sich selbst.

Gott hatte sie mit einer Begabung ausgestattet. Brewster Moore hatte ihr Schönheit verschafft. Wenn Jahne Bilanz zog, mußte sie sich eingestehen, daß sie fast so blind und egoistisch gehandelt hatte wie Sam Shields. Sie hatte das, was man ihr gab, vergeudet.

Sam. Wenn sie an ihn dachte, mußte sie weinen oder lachen. Er hatte sie nie verstanden oder es auch nur einmal ernsthaft versucht. Sowohl Mary Jane als auch Jahne hatten darüber hinweggesehen. Sam hatte sich von ihr bemuttern lassen, er hatte ihrer Schönheit gehuldigt. Doch gekannt hatte er sie nicht. Und was hatte er ihr gegeben? Komplimente, Umarmungen, Liebkosungen. Brosamen. Die hatte Jahne für ein Festmahl gehalten.

Sie verstand inzwischen die Versuchungen, denen Sam erlegen war. Ehrgeiz hatte Moralvorstellungen und Urteilsfähigkeit ausgelöscht. Galt das nicht aber auch für Jahne? Sie hatte Sam haben wollen und sich deshalb bereit gefunden, einen schlechten Film mit ihm zu drehen. Sie hatte triumphiert, als es ihr gelungen war, ihn in ihr Bett zu holen, wie eine Spinne über ihr mumifiziertes Opfer triumphiert. Hatte sie Sam gekannt? Nein.

Es lohnte sich nur, ein Ziel zu erreichen, wenn es auch lohnend ist. Das hatte ihr einmal jemand gesagt. Offenbar kannte sie den Unterschied zwischen leerer, selbstsüchtiger Eitelkeit und echter Leistung nicht. Sie hatte Sam Wärme gegeben, indem sie sich selbst wie Holz ins Feuer geworfen hatte. Die Flammen hatten Sie jedoch verzehrt, bis nur noch Asche übrigblieb.

Sam hatte Jahne betrogen, April Irons hatte sie manipuliert, Sy Ortis hatte sie ausgenutzt, Monica Flanders hatte sie ausgebeutet. Doch all das mit Jahnes Einverständnis. Sie hatte sich wie eine Ware verkauft. Also konnte sie anderen auch keine Vorwürfe machen.

Gegen Mittag unterbrach Dean Jahnes Grübeleien. Sie aßen eine Kleinigkeit. Meist brachte Dean die Zutaten zu einem Salat aus seinem Gemüsegarten: zarten Blattsalat, kleine Radieschen, Zuckererbsen, Karotten. Jahne bereitete den Salat zu. Dean fügte einmal Thunfisch und ein anderes Mal Nudeln hinzu. Sie aßen auf der Terrasse und tranken dazu Limonade. Dean freute sich, nicht allein essen zu müssen, und Jahne erholte sich in seiner beruhigenden Nähe.

Eines Nachts überfiel Jahne wieder einer ihrer schrecklichen Alpträume. Sharleen kam an ihr Bett und tröstete sie. Jahne zitterte am ganzen Körper. Und plötzlich brach alles aus Jahne heraus. Wie sie sich schon einmal Mai anvertraut hatte, erzählte Jahne nun Sharleen ihre ganze traurige Geschichte. Sharleen litt mit Jahne. Sie wiegte sie wie eine Mutter und hielt sie so lang umschlungen, bis Jahne endlich einschlief.

Danach ging es mit ihr wieder bergauf. Den Vormittag verbrachte sie mit Dean, den Nachmittag allein in ihrem Zimmer. Den Gedanken konnte sie nicht entfliehen. Sie sah die schrecklichen Filmszenen vor Augen, durchlebte noch einmal ihre Beziehung mit Sam.

Sie dachte auch über das Leben nach, das nun noch vor ihr lag. Sie hatte erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Von einer Frau, die bei niemandem einen bleibenden Eindruck hinterließ, war sie zu einem Mädchen geworden, das niemand vergessen konnte. Sie besaß mehr Geld als sie brauchte und weitaus mehr Ruhm.

Doch in den letzten drei Jahren hatte sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinen Menschen kennengelernt, den es zu kennen lohnte. Mai lebte nicht mehr. Raoul war nach Südamerika zurückgekehrt, Dr. Moore führte sein Leben in New York. Sie stand völlig allein da. Außer Sharleen und Dean vertraute sie keinem mehr. In wenigen Tagen oder Wochen würde ihr Ruf ruiniert sein. Vielleicht wollten dann nicht einmal mehr Sharleen und Dean etwas mit ihr zu tun haben, wenn sie diesen grässlichen pornographischen Film sahen. Sogar Brewster, der sich durch nichts erschüttern ließ, mußte schockiert sein.

Abends bereiteten Dean und Jahne meist das Abendessen vor und warteten auf Sharleen. Anschließend sahen sie sich ein Video an oder die beiden Frauen unterhielten sich. Ein einfaches Leben, aber warmherzig. Mitunter empfand sie so etwas wie ein Gefühl von Heimat bei den beiden.

Doch eines Tages riet ihr Sharleen, wieder zum Set zurückzukehren. Denn Marty entfernte sich immer mehr von seiner dritten Hauptdarstellerin. Das Drehbuch klammerte Jahne aus, was ja nahelag, da sie nicht zur Verfügung stand. »Du kennst doch Lila. Sie läßt keine Gelegenheit aus, dir oder mir die Schuld zu geben, wenn auch nur das geringste nicht klappt.«

Jahne entschuldigte sich betreten, weil sie Sharleen und Dean so lange zur Last gefallen war.

»Du bist uns nicht zur Last gefallen, Jahne«, widersprach Sharleen energisch. »Du gehörst zur Familie. Warum bleibst du nicht einfach bei uns, statt in dein Haus zu gehen? Wir können doch gemeinsam zur Arbeit fahren.«

Dean stimmte, zu. »Es wäre toll, zwei Schwestern zu haben, auch wenn ich dann mittags nicht mehr mit dir essen kann.«

»Darf ich nur noch eine kleine Weile bei euch bleiben? Ich meine, bis die Premiere von Birth of a Star überstanden ist? Ich möchte gern den Sturm bei euch über mich ergehen lassen.«

»Herzlich gern. Und wer weiß? Vielleicht wird der Film gar nicht so schlimm.« Sharleen lächelte. »Außerdem kann uns beiden ohnehin nichts Schlimmeres mehr passieren.«

Darin täuschte Sharleen sich.

Der Sicherheitsdienst rief von der Pforte aus an. Sharleen ging an den Apparat, denn Jahne und Dean spielten mit den Hunden.

»Hier ist ein Besucher ohne Termin. Soll ich ihn hochschicken?«

»Nein. Ich möchte mit ihm sprechen.«

»Sind Sie Jahne Moore?« fragte eine Männerstimme aus dem Hintergrund.

»Wie heißt der Mann?« fragte Sharleen.

»Sam Shields«, antwortete Sam nun an Stelle des Mannes. »Ich glaube nicht, daß Jahne Sie sprechen möchte«, antwortete Sharleen sofort.

»Wer sind Sie?« fragte Sam.

»Eine Freundin von Jahne. Eine echte Freundin«, antwortete Sharleen.

»Mir ist nicht nach theatralischem Schnickschnack und Moralpredigten. Es hat lang genug gedauert, bis ich sie gefunden habe. Ich möchte sie sehen.«

»Ich weiß, wie Sie Jahne behandelt haben und was für ein Mann Sie sind. Ihren Typ kenne ich seit meinem elften Lebensjahr. Männer, die nur nach dem Äußeren gehen, nicht nach dem Menschen. Sie haben ein Mädchen wie Jahne nicht verdient.«

»Sie wird mich sehen wollen. Fragen Sie sie.«

Widerstrebend legte Sharleen den Hörer neben den Apparat und ging in den Garten. Jahne rannte über den Rasen, die drei Hunde hinter ihr her. »Jahne, es möchte dich jemand sehen.«

»Wer denn?« Jahne kam auf Sharleen zu.

»Sam.«

Da erstarrte Jahne. Sharleen sah ihr tief in die Augen. Würde Jahne wieder schwach werden? Einen Moment lang standen die Mädchen schweigend voreinander. »Sag ihm, er soll gehen«, antwortete Jahne endlich. Spät am Abend schrieb sie einen Brief an Dr. Moore:

Nie in meinem Leben habe ich mich so abhängig gefühlt wie jetzt. Nicht einmal von Ihnen war ich im Krankenhaus so abhängig. Nun bin ich auf die Herzensgüte von Fremden angewiesen. Doch ich fürchte, daß sogar Fremde und auch Sie mich erbarmungslos verurteilen werden, nachdem Sie den schrecklichen Film gesehen haben, in dem ich die Hauptrolle spiele.

Ich weiß, daß es viel ist, um was ich Sie bitte: Könnten Sie sich entschließen, mich hier zu besuchen? Ich würde nach New York kommen. Doch ich stecke ohnehin in Schwierigkeiten bei den Aufnahmen für die Fernsehserie. Wenn Sie meine Bitte ablehnen, habe ich vollstes Verständnis dafür. Doch ich wäre überglücklich, wenn ich Sie wiedersehen dürfte.

Erst nachdem sie den Brief in den Umschlag geschoben hatte, erinnerte sie sich an etwas, was Dean gesagt hatte, als er sich darüber freute, Jahne noch eine Weile in seinem Haus zu haben.

Er hatte von zwei »Schwestern« gesprochen.

Die schoenen Hyaenen
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